Filmkritik: „Lion“

Der kleine Saroo (Sunny Pawar, später Dev Patel) reist mit seinem größeren Bruder Guddu per Zug vom Dorf in eine Stadt. Guddu will dort in einer Nachtschicht Geld verdienen, um seine arme Mutter zu unterstützen. In einem unbedachten Augenblick landet Saroo in einem leeren Zug, schläft ein und findet sich zwei Tage und 1.600 Kilometer später in der Millionen-Metropole Kalkutta wieder. Nach Monaten auf der Straße landet er im Kinderheim, da er zu klein ist, kann er niemandem einen Hinweis auf seinen Wohnort oder seine Eltern geben. Er gelangt in die Obhut eines australischen Pärchens (Nicole Kidman, Davin Wenham), das in mitnimmt, aufzieht und ihm ein gutes Leben in Tasmanien ermöglicht. Doch auch 25 Jahre später bohrt es in Saroo. Er will seine leibliche Mutter wissen lassen, dass es ihm gut geht. Doch alles, an das er sich aus seinem Heimatdorf erinnern kann sind ein paar Straßenzüge und ein Wasserturm in Bahnhofsnähe. Als Freunde ihn auf das neue Google Earth aufmerksam machen, verbringt Saroo Monate mit dem Erkunden von Satellitenbildern, immer in der Hoffnung sein altes Dorf zu finden.

Zu allererst: der Film beruht auf einer wahren Begebenheit, die seinerzeit zur Veröffentlichung des Films durch die Medien gegeistert ist. So ist sicherlich jedem klar (und es ist somit kein Spoiler), dass der Film ein Happy End hat. Und so ist auch eigentlich schon von vornherein klar, dass man am Ende ein Tränchen verdrücken muss (okay, bei mir war es eher “eine Viertelstunde Rotz und Wasser”, aber gut…).

Der Film ist überaus sympathisch. Mit Sunny Pawar in seiner ersten Filmrolle hat der bisher unbekannt Regisseur Garth Davis einen echten Glücksgriff gelandet. Von Beginn an hatte der Kleine mein Herz gewonnen mit seinen kullergroßen braunen Augen, seinem entwaffnenden Lächeln ebenso wie seiner bitterlichen Verzweiflung und nicht zuletzt seiner – sagen wir mal “überambitionierten” – Art zu laufen. Auch im späteren Verlauf sorgt Dev Patel dafür, dass man auch dem erwachsenen Saroo viele Sympathien entgegen bringt. Patel, bekannt geworden durch den Oscar-Abräumer “Slumdog Millionaire” hat spätestens seit seiner Rolle als obersympathischer Hotelleiter im “Best Exotic Marigold Hotel” bei mir einen Stein im Brett.

Patel versteht es sehr gut zum einen den liebenswerten Adoptivsohn zu spielen, der seinen Pflegeeltern gegenüber viel Dankbarkeit empfindet; auf der anderen Seite verkörpert er auch eindrucksvoll den manisch Suchenden, bei dem alle anderen Interessen – und Menschen – hintan stehen müssen. Die Trennung seiner Freundin (Rooney Mara) von ihrem rastlosen Freund, der bis tief in die Nacht im Nachbarzimmer Satellitenbilder durchforstet, erscheint sehr plausibel.

Garth Davis erzählt in diesem Film eine sehr schöne Geschichte, die einen gefangen nehmen kann. Man leidet mit, man freut sich mit und ist am Ende happy über den guten Ausgang der Geschichte, der mit so viel Leiden in Verbindung steht. Dass Davis seinen Film zum Abspann hin mit Fotos des echten Sarook beschließt, setzt der ganzen Heul-Orgie fast die Krone auf. Die kommt dann ganz zum Schluss, als die echten Filmaufnahmen gezeigt werden, in denen sich Sarooks leibliche und die Adoptivmutter in die Arme schließen. Wer bis spätestens dort nicht zumindest ein kleines Tränchen verkniffen hat, der kann einfach kein Herz haben.

Wertung: 4,5/5

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